November 2015: Judaica: Buch und Tuch aus ehemals jüdischem Besitz
Objekte des Monats im November 2015 waren sogenannte Judaica. Anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht waren zwei Objekte aus ehemals jüdischem Besitz zu sehen: ein Buch von 1885, mit dem jüdische Kalenderdaten umgerechnet werden konnten, und ein gewebtes Tuch mit Inschrift aus den 1920er-Jahren.
Das Buch enthält Daten des jüdischen und allgemeinen bürgerlichen Kalenders für 216 Jahre. Der Rabbiner Salomon W. Freund hat die Kalenderdaten berechnet und 1885 in Wien herausgegeben. Das Buch diente zur Erstellung von jüdischen Jahrzeittafeln. Das sind Erinnerungsblätter an Verstorbene, die Gedenktage für die nächsten Jahrzehnte enthalten. Die Tabellen halfen auch bei der Umrechnung hebräischer Jahreszahlen auf Grabsteinen. Der damalige Kulturamtsleiter Wilfried Setzler hat das Buch 1988 für die Ausstellung „Spuren jüdischen Lebens in Tübingen“ und für Recherchen zum jüdischen Friedhof in Wankheim erworben. Ursprünglich war es im Besitz eines jüdischen Gelehrten. Es gibt aber keine Hinweise auf die Vorbesitzer. Wegen des Verdachts auf NS-Raubgut hat das Stadtmuseum das Buch in die Datenbank „Lost-Art“ gestellt. Das ist eine wichtige Suchplattform für Erben jüdischer Eigentümer, denen Objekte während der Zeit des Nationalsozialismus geraubt wurden.
Bei dem Tuch mit Inschrift handelt es sich um eine Dankesgabe der Gesellschaft der Zionsfreunde. Diese Bewegung war in Osteuropa verbreitet und unterstützte Auswanderer nach Palästina. Die Webarbeit aus Wolle und Baumwolle stammt aus den 1920er-Jahren. Wie das Tuch nach Tübingen kam, ist nicht geklärt. Nach der Plünderung der hiesigen Synagoge sollen benachbarte Bürgerinnen und Bürger das Tuch aus dem Neckar geborgen und aufbewahrt haben. Nachdem der evangelische Theologie-Professor Otto Michel im Jahr 1957 das Institutum Judaicum in Tübingen gegründet hatte, haben sie ihm das Tuch übergeben. Da weitere Anhaltspunkte zu Vorbesitzern fehlen und solche Tücher eher in Osteuropa verbreitet waren, besteht auch hier der Verdacht auf NS-Raubgut. Deshalb hat das Stadtmuseum das Tuch ebenfalls in die Datenbank „Lost Art“ eingestellt.