Nachlass der Familie Oesterreich-Raich
Aus dem Besitz von Dr. Traugott Erdmann Konstantin Oesterreich und seiner aus Odessa stammenden Frau Dr. Maria Raich, einer freireligiösen Jüdin, hat das Stadtmuseum einen Nachlass mit persönlichen Gegenständen. Dr. Oesterreich wurde nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten von Berufskollegen denunziert und im Sommer 1933 von der NS-Regierung zwangsweise emeritiert. Die Tochter Cäcilie wurde 1933 aus dem Medizinstudium exmatrikuliert.
Die Tochter übergab seinen Nachlass 1984 dem Archiv der Universität Tübingen zur Betreuung und übereignete ihn dann im Jahre 1990. 1992 wurden Dokumente aus dem Nachlass von Maria Oesterreich, geborene Raich, hinzugefügt, die aus den Jahren 1905 bis 1947 stammen.
Das Stadtmuseum hat den Nachlass aus einem Verkauf des Hauses, als die Tochter 1992 verzog. Es handelt sich also um einen in seiner Provenienz unkritischen Nachlass, wobei die persönliche Geschichte des mit einer jüdischen Frau verheirateten Professors weitere Repressionen vermuten lässt. Diese findet man etwa in der Ablehnung des Neubaus eines Hauses für die Familie durch die NSDAP und dem Verbot der Teilnahme am öffentlichen Leben Tübingens.
In den Schriften und reich bebilderten Alben lassen sich das Leben und Jahrzehnte der Familiengeschichte Maria Raichs nachvollziehen. So war sie Dr. der Philosophie, eine der ersten promovierten Frauen Europas, engagierte sich für Frauenrechte und schrieb feministische Artikel. Ihre Eltern lebten gut situiert in Russland, weitere ihrer Vorfahren sollen griechisch gewesen sein.
Sie selbst wurde 1877 in Odessa geboren, ein wichtiges Zentrum der jüdischen Kultur, dem Theater, Literatur und der Publizistik. 1897 bis 1939 waren über 30 Prozent der Bevölkerung Odessas jüdisch. Maria Raich studierte nach dem Gymnasium in Odessa wie ihr Mann in Berlin Philosophie und wurde wie er 1905 in Straßburg promoviert. Dort kaufte sie auch eines der Alben, dessen Fotos mit Beschriftungen versehen sind, die den Grad des Verhältnisses zu „M.“ (Maria) angeben.