Stellungnahme von Oberbürgermeister Boris Palmer zur City-Maut: Weniger Autos sind besser für die Stadt
Pressemitteilung vom 17.04.2012
Durch einen Bericht des Spiegel-Magazins am 16. April 2012 ist ein Thema wieder in den Vordergrund gerückt, das Oberbürgermeister Boris Palmer bereits seit mehr als zehn Jahren mit einer gleichbleibenden Haltung bearbeitet: „Wer das Klima schützen, die Menschen in der Stadt von Lärm, Dreck und Abgasen entlasten, Staus reduzieren und öde Asphaltflächen für bessere Zwecke frei machen will, muss den Autoverkehr in der Stadt verringern. Dafür ist eine Kombination des Ausbaus von Bus, Bahn und Rad mit einer City-Maut die beste und wirksamste Lösung.“
Boris Palmer hatte diese Auffassung schon als verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg vertreten und in mehreren Landtagsanfragen die damalige Regierung aufgefordert, eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen. Auch im OB-Wahlkampf 2006 hatte Kandidat Palmer diese Haltung bekräftigt, allerdings hinzugefügt, dass er nicht erwarte, dass die Maut komme, weil die Regierung sie ablehne.
Das hat sich nun geändert. Grüne und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, zu prüfen, wie den Kommunen mehr Freiheiten bei der Erhebung von Gebühren für die Straßenbenutzung oder von Umlagen für die Nutzung des Nahverkehrs zu geben. Vorangeschritten ist auch die Technik. Ein österreichischer Anbieter von Mautsystemen, die Firma Kappsch-Traffic, hat der Stadtverwaltung kostenlos eine Berechnung zur Verfügung gestellt, die zeigt, dass eine City-Maut von nur einem Euro einen Nettoertrag von mindestens 20 Millionen Euro für Tübingen erbringen würde. Im Modell dieses Anbieters wird die Maut für eine Einfahrt nach Tübingen Kernstadt einschließlich Derendingen und Lustnau aber ohne Teilorte erhoben. Die Durchfahrt auf den beiden Bundesstraßen bleibt mautfrei. Die Systeme des Anbieters sind in mehreren Dutzend Städten in Europa bereits erfolgreich im Einsatz.
Gängige Gegenargumente glaubt Palmer entkräften zu können:
Eine City-Maut lässt sich heute problemlos elektronisch erfassen. Es braucht dafür keine Mauthäuschen und niemand wird verpflichtet, sich einem bestimmten Zahlungssystem anzuschließen. Auch Ortsfremde können jederzeit ungehindert in die Stadt fahren.
Eine City-Maut schadet nicht dem Handel in der Innenstadt. Weniger als zehn Prozent des Autoverkehrs, der nach Tübingen will, hat als Ziel den Handel in der Innenstadt. Fast alle Kunden, die mit dem Auto kommen, zahlen heute Parkgebühren. Würde eine City-Maut eingeführt, könnte im Gegenzug die erste Stunde Parken in Parkhäusern und auf den Straßen in der Innenstadt umsonst sein.
Eine City-Maut ist keine Abzocke. Während die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs heute wesentlich über Tickets von den Kunden erbracht werden, erhält die Stadt von den Autofahrern für die Nutzung des Straßennetzes nichts. Das ist einer der Gründe, warum das Straßennetz chronisch unterfinanziert ist und viele Brücken und Straßen marode sind. Mit einer City-Maut kann das Straßennetz endlich sinnvoll unterhalten werden. Jeder zweite Euro aus der Grundsteuer der Stadt fließt heute in das Straßennetz. Künftig würden die Nutzer selbst für die Straßen aufkommen.
Eine City-Maut ist nicht unfair gegenüber Einpendlern. Die Hälfte des Autoverkehrs in Tübingen ist Verkehr von Auswärtigen. Vor allem Einpendler machen den Stau. Die Tübinger Bevölkerung hat nur die Nachteile und muss auch noch die Straßen bezahlen. Wer mit dem Auto nach Tübingen fährt, hat früher häufig bewusst entschieden, im Umland ein Haus zu kaufen oder zu bauen, weil es dort billiger ist. Das ist legitim, aber es ist nur fair, wenn die Auswärtigen sich an den Kosten der Straßen in Tübingen beteiligen.
Die Vorteile der Maut sind nach Palmers Meinung bestechend. Der Autoverkehr in Tübingen, würde um mindestens zehn Prozent zurückgehen. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte die Stadt den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs finanzieren und das Projekt „Bürgerticket“. Damit würde die heutige Situation exakt umgekehrt. Wer mit dem Auto in die Stadt kommt, zahlt, wer mit der Bahn oder dem Bus kommt, zahlt nicht.
Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels, der Stadtentwicklung, der Luftreinhaltung und der Schuldenbremse ist das genau der richtige Weg. Nach der Energiewende muss nun die Verkehrswende angepackt werden. Die derzeitigen Benzinpreise sind nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt. Weniger Autos sind in Zukunft besser, besonders in den Städten.
Eine so weitreichende Entscheidung kann natürlich nicht einfach vom Oberbürgermeister getroffen oder vom Gemeinderat verordnet werden. Deshalb hält Boris Palmer auch an weiteren Aussage aus dem OB-Wahlkampf fest: „Nur wenn eine Mehrheit der Tübingerinnen und Tübinger sich von den Vorteilen einer kombinierten Initiative zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und zur Einführung einer City-Maut überzeugen lässt und in einem Bürgerentscheid dafür stimmt, kann eine City-Maut Realität werden.“
Die Verwaltung erarbeitet derzeit eine Vorlage, die den Gemeinderat über die theoretischen Möglichkeiten für Bürgerticket und City-Maut informieren soll. Ob weitere Schritte erfolgen, hängt von der Landesregierung ab. Nur wenn Grün-Rot ein neues Gesetz beschließt, kann Tübingen eigene Überlegungen auch realisieren.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen