Tübinger Vertrag als Geschenk bei Besuch des Bundespräsidenten
Pressemitteilung vom 19.04.2012
Bei ihrem Besuch in Tübingen haben Bundespräsident Joachim Gauck und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein besonderes Geschenk erhalten: ein Faksimile des Tübinger Vertrages. Dieses Abkommen zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und der bürgerlichen Oberschicht, den sogenannten Landständen, ist das wichtigste Verfassungsdokument Alt-Württembergs.
„Gaucks Thema Freiheit wurde in Deutschland zuerst in dieser Stadt niedergeschrieben“, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer anlässlich des Eintrags in das Goldene Buch im Rathaus. „Der Tübinger Vertrag ist die älteste Verfassung auf deutschem Boden. Nirgends sonst gab es vor 500 Jahren so weitgehende Grundrechte, die selbst für Leibeigene galten. Der Tübinger Vertrag dokumentiert eindrucksvoll das frühe Freiheitsstreben der Württemberger“.
Freiwillig schloss Herzog Ulrich die Übereinkunft nicht. Im Jahr 1503 kommt der damals 15-jährige an die Macht und bringt das Land durch seinen verschwenderischen Lebensstil bis 1514 an den Rand des Ruins. Als er versucht, seine Schulden durch die Erhöhung der Verbrauchssteuern zu tilgen, erhebt sich die arme Bevölkerung. Der Aufstand des „Armen Konrads“, ein Synonym für den einfachen Mann, bringt den Herzog in höchste Bedrängnis. Aufgrund seiner finanziellen Situation kann er die Unruhen nicht alleine niederschlagen und wendet sich hilfesuchend an die Landstände.
Am 8. Juli 1514 tritt in Tübingen ein Landtag zusammen, auf dem die Stände das Dilemma des Machthabers ausnutzen. Sie übernehmen einen Teil der herzoglichen Schulden und sichern ihm Hilfe bei der Bekämpfung des Aufstandes zu. Dafür erhalten sie weitgehende Zugeständnisse, die sowohl für Ulrich als auch für seine Nachfolger gelten. Bei der Steuergesetzgebung, bei Kriegen und dem Verkauf von Landesteilen muss der Herzog ab sofort die Zustimmung der Stände einholen. Untertanen wird eine freie Auswanderung gestattet und den Angeklagten in Strafprozessen ist ein ordnungsgemäßes Verfahren garantiert. Als Ort, an dem der Vertrag geschlossen wurde, darf die Stadt Tübingen bis heute die württembergischen Geweihstangen im Wappen tragen.
Der Tübinger Vertrag ist die Grundlage für das verfassungsmäßige Mitspracherecht der Landstände bei der Regierung des Herzogtums. Die Lage der armen Bevölkerung verbesserte er allerdings nicht. Die schon zuvor privilegierte Oberschicht sicherte ihre Rechte vielmehr ab; die finanziellen Belastungen der Einigung wurden in großen Teilen auf die Unterschicht abgewälzt. Für die an den Aufständen Beteiligten hatte das Abkommen katastrophale Folgen. Unterstützt von den Landständen schlug der Herzog die Unruhen nieder. Etwa 1.700 Bauern, Tagelöhner und Handwerker wurden gefangen, gefoltert, eingekerkert oder hingerichtet.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen