Persönliche Stellungnahmen aus der Tübinger Bürgerschaft
[...] Es ist viel schwieriger in einer kleinen Gemeinde eine Umbenennung vorzunehmen, zumal noch Nachfahren von Karl-Brennenstuhl hier leben. Warum wurde 1964 sein Name, seine Vita, als so wichtig angesehen, dass sein Name auf das Straßenschild geschrieben wurde? Was sagen die Verwandten heute? Es sollte ein offener Prozess im Teilort angestoßen werden, damit Leute wieder zum Nachdenken angeregt werden. Denn der damalige Gemeinderat hat sicher gewusst, was Karl-Brennenstuhl in der Nazizeit tat. [...] Tilla Keplinger
[...] Die Untersuchung der Kommission ist in ihrer Gründlichkeit und in der Gewichtung der jeweiligen Entscheidungen mustergültig. Die vorgeschlagenen Umbennungen halte ich für begründet. Es ist keine Geschichtsklitterung oder Verschweigen von Militarismus oder Rassismus in unserer Geschichte, wenn wir heute eine Ehrung von Personen, und das bedeutet eine Straßenbennung zurücknehmen. Die Benennung der Karl-Brennenstuhlstr. geschah z.B. in einer jüngsten Epoche des Geschichts-Revisionismus unter der Ägide des OB Hans Gmelin, selber verstrickt in der NS Politik. Ihm wurde berechtigterweise und nach wissenschaftlicher Prüfung die Ehrenbürgerwürde aberkannt. [...] Erinnerung ist notwendig, muss aber andere Wege gehen als eine Sichtbarmachung einer Ehrung in Gestalt eines Straßennamens. Es läuft mir heute noch kalt über den Rücken, wenn ich in Dußlingen über eine Hindenburgstraße im Zentrum der Gemeinde gehe. Volker Plass
[...] Durch den „Knoten“ wurde ich als Besucher auf diese Aktion aufmerksam. Für Umbenennungen habe ich keinerlei Verständnis. Über Geschichte und historische Persönlichkeiten muss aufgeklärt werden. Eine Auslöschung ist einer Demokratie unwürdig – das soll man bitte den Regimen überlassen. Unsere Werte müssen gelebt werden. Eine Vogel-Strauß-Aktion verhindert aktive Auseinandersetzung für zukünftige Generationen. Jan Hart
[...] Ich würde es befürworten, wenn die Straßennamen blieben und Schilder mit Erklärungen zu den Personen angebracht würden mit deren Verstrickungen in der dunklen Zeit. Ansonsten besteht m.E. die Gefahr der Geschichtsvergessenheit. [...] Was käme denn als nächstes? Womöglich die „Eberhardskirche“ umbenennen, da der Tübinger Graf Eberhard ja bekanntlich auch ein Antisemit war, da ein Kind seiner Zeit. Bernd Kellmeyer
[...] Es ist im Laufe der Geschichte viel Schlimmes passiert und anscheinend hat die Menschheit keine Lehren daraus gezogen. Was geschehen ist, ist geschehen und wir können es nicht ungeschehen machen, indem man ständig in der Vergangenheit herumrührt. Wir haben im Hier und Jetzt ganz andere Sorgen und wir sollten unseren Fokus auf die Zukunft richten, wenn es überhaupt noch eine Zukunft für diese Welt und ihre Bewohner geben soll. Gülen Akalin
[...] Ich wohne in der Albrechtstraße, bin also als Anwohner betroffen. Von der Idee der Umbenennung halte ich deswegen nicht viel, weil man nicht jede Person der Geschichte, die auch schlechte Entscheidungen getroffen hat, aus der Erinnerung tilgen kann. Mit einem Straßennamen wird einer Person kein Denkmal gesetzt, es wird auch nicht ausgesagt, dass man alles toll fand, was die Person gemacht hat. Ich finde es wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, dass niemand, auch nicht wir, am Ende unseres Lebens nur gute Taten aufzuweisen haben. Wahrscheinlich wird der Zeitgeist der heutigen Zeit in einigen Jahren ebenfalls stark in der Kritik stehen. Man kann darüber kritisch nachdenken und reflektieren, wird sich allerdings schwertun, damit Personen zu finden, die für alle Ewigkeit über jeden Zweifel erhaben sind. [...] Stefanie
[...] Ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass Sie die Clara-Zetkin-Straße unter „Straßennamen in der Kritik“ aufgenommen haben. Clara Zetkin wird von Ihnen wortwörtlich in eine Reihe gestellt mit den Nazis, gegen die sie ankämpfte. [...] In Ihrem Abschlussbericht verweisen Sie u.a. auf die Quelle „Zetkin, Clara: Für den Schutz der Oktoberrevolution von 1917. Mathilde Wibaut zur Antwort, September 1922“. Was Sie aus dieser Quelle aber nicht zitieren, ist die Aussage Zetkins, die Ihrer Behauptung diametral entgegensteht: „Ich habe niemals und nirgends den Tod der angeklagten Sozialrevolutionäre gefordert" [...] Außerdem würde mich interessieren, wie Sie überhaupt auf die Idee gekommen sind, Clara Zetkin als problematisch anzusehen, weil sie aus Ihrer Sicht nicht „demokratisch“ war, aber auf der anderen Seite scheint Wilhelm I. (Wilhelmstraße) kein Problem zu sein? [...] Was ist mit Herzog Ulrich (Ulrichstraße), der den Bauernaufstand des Armen Konrads blutig niederschlug? Es gibt auch eine Bismarckstraße in Tübingen, war Bismarck ein vorbildlicher Demokrat? Matthias Rude
[...] Otto von Bismarck war demokratiefeindlich, hat die demokratischen Bemühungen bekämpft, hat die Sozialdemokraten verfolgen lassen und die Sozialgesetze nur erlassen, um die Sozialdemokraten zu schwächen. Diese sind daher nicht sein Verdienst, sondern ein Zugeständnis, welches er der Arbeiterbewegung gegenüber gemacht hat, um diese zu schwächen. Seine nationalistische und militaristische Politik wird zurecht von den Nationalsozialisten wie auch von anderen europäischen Ländern als Vorgänger und Wegebner Hitlers gesehen. Die Bismarckstraße gilt es umzubenennen, wenn wir uns wahrhaftig für Demokratinnen und Demokraten halten. Philip Copony