Tübinger Platanenallee anhand der Originalrechnung datiert
Pressemitteilung vom 11.06.2013
Unter den Augen Friedrich Hölderlins wurde sie einst gepflanzt – doch wie alt die Tübinger Platanenallee tatsächlich ist, wusste bislang niemand so genau. Jetzt brachte ein Fund im Tübinger Stadtarchiv das exakte Datum zutage: Die Originalrechnung aus dem Jahr 1828 beweist, dass die Bäume im Januar/Februar 1828 bei der „exotischen Baumschule Hohenheim“ für 32 Gulden gekauft und von dort mit weiteren Bäumen nach Tübingen geliefert wurden (Originalrechnung und Transkription in der Anlage).
Neben den 96 Platanen der Art Platanus occidentalis wurden 60 Pappeln und vier Tulpenbäume bestellt und geliefert, der Rechnungsbetrag belief sich einschließlich sechs Prozent Rabatt und sechs Gulden Fuhrlohn auf insgesamt 48 württembergische Gulden und 30 Kreuzer. Quittiert wurde er durch die Unterschriften von Gemeindeinspektor Riß, Schultheiß Bierer und 13 weiteren Stadträthen. Der Ort, an dem die Platanen gepflanzt wurden, ist leider in der Rechnung nicht überliefert. Es ist aber davon auszugehen, dass dies sofort an der heutigen Stelle geschah. Ende 1828 standen die Platanen bereits, denn zu diesem Zeitpunkt wurden sie in einem weiteren Dokument bereits als „Neue Allee“ bezeichnet. Weitere interessante Hinweise würde vermutlich das Gemeinderatsprotokoll aus dieser Zeit liefern. Doch schon damals war das Gremium fleißig: Mehr als 1.200 eng beschriebene Seiten müssten für die Jahre 1827 und 1828 durchforstet werden, um dies zu überprüfen.
„Über die Motivationslage der Stadträthe bezüglich der Platanenallee sind wir trotzdem sehr gut unterrichtet“, führt Stadtarchivar Udo Rauch aus: „Tübingen stand damals unter Druck. Es mehrten sich die Stimmen, die eine Verlegung der Universität nach Stuttgart verlangten. Vielen erschien das kleine Universitätsstädtchen als zu eng und provinziell. Es mangelte an Wohnraum, an kulturellen Angeboten und an schön angelegten Spazierwegen“. Der Kaufmann und Stadtchronist Ludwig Baur erinnert sich 1863: "Es bemächtigte sich der Tübinger eine große Bestürzung und die bürgerlichen Collegien thaten alles Mögliche, um das Übel abzuwenden... Der Universitäts-Verlegungsangst verdanken wir nicht nur die Straßenbeleuchtung, sondern auch mehrere Spaziergänge auf dem Wöhrd" (Der städtische Haushalt Tübingens vom Jahre 1750 bis auf unsere Zeit, Tübingen 1863, S. 258). Übrigens: die erwähnte Straßenbeleuchtung bestand natürlich nur aus einfachen Laternen und wurde exakt im gleichen Jahr wie die Platananen also 1828 beschafft.
Will man sich heute eine Vorstellung davon machen, wie viel die Platanenallee die Stadt gekostet hat, ist man auf Vergleiche angewiesen. Die Stadtpflegrechnung von 1828, in der alle Ausgaben der Stadt eingetragen wurden, liefert dafür viele Anhaltspunkte. So erhielt zum Beispiel der in der Rechnung erwähnte Gemeindeinspektor Riß ein Jahresgehalt von 200 Gulden – also rund das Siebenfache von dem, was die Platanen gekostet hatten. Stadtschultheiß Bierer bezog sogar ein Jahresgehalt von 1.000 Gulden. Die Kosten für die Allee waren also durchaus überschaubar. Allerdings gab es – wie auch heute bei manchen öffentlichen Projekten – nicht bezifferbare Nebenkosten. Das Wöhrdgelände vor dem Neckartor hatte bis zur Bepflanzung mit der Allee zur Allmende gehört, auf der die Tübinger ihr Vieh weiden durften. Hier musste die Stadt für anderweitigen Ersatz sorgen. Außerdem mussten sich die Stadtoberen mit den einfachen Leuten anlegen, denn die wollten dort lieber weiterhin ihr Vieh zur Weide bringen. Nach Spazierengehen war ihnen weniger zumute.
Die jetzt aufgefundene Rechnung von 1828 wirft noch eine weitere interessante Frage auf, die bislang nicht beantwortet werden kann: Welche Platanenart wurde 1828 tatsächlich gepflanzt? Die Rechnung spricht von "platanus occidentalis", einer aus Nordamerika stammenden Form. Die Tübinger Fachleute gingen bislang von einer Hybridform aus, die im 17. Jahrhundert aus der Nordamerikanischen Platane (P. occidentalis) und der Morgenländischen Platane (P. orientalis) gekreuzt wurde.
„Sollte sich der Rechnungsbeamte 1828 da vertan haben? Eher nicht“, meint Udo Rauch. Denn es handelte sich um einen kundigen Fachmann, den späteren königlichen Hofgärtner Johann Ulrich Fischbach. Landläufig unterscheidet man heute die Arten hauptsächlich an ihrer Blattform. In Nordamerika ist diese dreilappig, im europäischen Süden und Osten (P. orientalis) dagegen siebenlappig. Die Hypridform (P. acerifolia - die ahornblättrige) liegt dagegen bei etwa fünf Lappen. Schaut man sich die Blätter in der derzeit grünen Allee an, kommt man nur auf drei Lappen pro Blatt. Hat also Fischbach recht, dann stehen in Tübingen nordamerikanische Bäume. Aufklärung wird es hoffentlich demnächst geben. Die Universität Hohenheim hat sich bereit erklärt, eine DNA-Analyse durchzuführen.
Anlage 1: Faksimile der Originalrechnung
Anlage 2: Transkription der Originalrechnung
Anlage 3: Über die Tübinger Platanenallee
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen